12600-200 Konstantin von Tischendorf macht eine Entdeckung

 

Wie alles angefangen hat

Gestatten, Konstantin von Tischendorf. Eigentlich wollte ich nur studieren und Pfarrer werden. Aber dann begann das größte Abenteuer meines Lebens. Aber der Reihe nach!

Bild 1Angefangen hat es in Leipzig. Wir hatten uns beinahe geprügelt, als wir in der Universität über das Buch ,,Das Leben Jesu“ diskutieren. Es behauptete, viele der Berichte im Neuen Testament seien eine Erfindung der ersten Christen. Mit hochrotem Kopf saß ich in der Vorlesung, als der Professor das sagte. Ich stand mutig und mit zitternden Knien auf und fragte: ,,Sind die Christen bisher einer Täuschung zum Opfer gefallen? Waren Luther und die anderen Männer der Kirche Dummköpfe?“
Ich weiß noch, wie die anderen mich angeguckt haben. Sofort schrie einer mit schriller Stimme: „Dieses Buch beweist, dass die Bibel voller Märchen steckt. All die Wunder und das Geschwätz, dass Jesus Gottes Sohn ist, sind später dazu gedichtet worden. Beweise doch das Gegenteil!“
Ich stand da, wie ein geprügelter Hund. „Beweise, Beweise!“ hatten sie gebrüllt. Aber wie?
Es musste irgendwo alte Abschriften von Büchern der Bibel geben. Wenn darin das Gleiche stehen würde, wie in unseren Bibeln heute, dann wäre das der Beweis: Die Bibel ist nicht nachträglich verändert worden.
Ich bin gleich auf die Suche gegangen. Ich sage euch, es war eine zähe Sache. Aber ich ließ nicht locker. Manche Nacht konnte ich nicht schlafen.
Eines Tages hörte ich von einem Kloster im Sinai-Gebirge. In diesem Kloster passierte es.

 

Mein Weg zum Katharinenkloster

Bild 2 Das Katharinenkloster war über 1.000 Jahre alt. Wenn es überhaupt irgendwo die Möglichkeit gab, eine uralte Bibel zu finden, dann hier. Im Unterschied zu anderen alten Klöstern war dieses Kloster nie überfallen und ausgeplündert worden.
Die Reise ins Sinai-Gebirge war total anstrengend. 12 Tage schaukelte ich auf einem Kamel durch die Wüste. Manchmal war mir ganz schön schlecht. Drei Beuduinen begleiteten mich auf ihren Kamelen. Weil es tagsüber so heiß war, ritten wir nur früh morgens und abends. Vom späten Vormittag bis zum frühen Abend blieben wir an einem schattigen Plätzchen oder bauten uns einen Sonnenschutz in der prallen Sonne auf und machten Pause. Diese langen Pausen konnte ich gut nutzen, um mein Tagebuch zu schreiben oder um mir den Beduinen zu plaudern und sie besser kennen zu lernen.

 

Die Ankunft am Kloster

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Unsere Ankunft am Kloster war fast ein wenig unheimlich. Das Kloster lag völlig einsam im Gebirge. Keine Menschen waren zu sehen und auch kein Eingang ins Kloster. Wie kam man da nur rein?
Ich war erleichtert, als ich merkte, dass die Beduinen sich hier auskannten. Sie stellten sich an die Mauer und riefen laut zu den Fenstern hinauf, die weit über uns in der Mauer zu sehen waren. Gespannt wartete ich, was passieren würde. Plötzlich öffnete sich ein Fenster und jemand ließ einen Korb an einem Seil zu uns herunter. Da ich mit niemandem vom Kloster reden konnte, legte ich einfach den Brief hinein, den mir ein Mönch von einem Kloster in Kairo mitgegeben hatte. Darin stand, dass ich nach alten Bibeln forsche und dabei Unterstützung der Mönche vom Katharinenkloster brauchen würde.
Ich war schon ganz aufgeregt, als der Korb wieder nach oben verschwand. Ob diese menschenscheuen Mönche mich ins Kloster lassen würden?

 

Der ungewöhnliche Eingang ins Kloster

Bild 4Endlich, es kam mir unendlich lange vor, kam das Seil wieder heruntergeschwebt. Diesmal hing kein Korb sondern ein Querholz daran. Sollte das die Einladung ins Kloster sein?
Ich setzte mich auf das Holz, hielt mich am Seil fest und wartete ab, was geschehen würde.
Ich spürte einen Ruck und schwebte nach oben. Es war aufregend und unheimlich zugleich. Bis jetzt hatte ich ja noch mit keinem von den Mönchen gesprochen. Wo würde ich ankommen?
Plötzlich wurde ich von kräftigen Händen durch ein Fenster ins Innere des Klosters gezogen. Nun konnte ich verstehen, warum das Kloster noch nie überfallen worden war. Es konnte ja niemand unbemerkt hineinkommen.
Nachdem ich mich vorgestellt hatte, führte mich ein Mönch zum Vorsteher des Klosters. Dort bekam ich endlich die Erlaubnis, in der Bibliothek nach alten Bibeln in griechischer Sprache zu suchen.
Das Kloster kam mir vor wie eine fremde Welt: viele Gebäude, Innenhöfe, Treppen und Gänge. Wie sollte ich mich dort zurechtfinden. Ich wusste gar nicht, in welche Richtung ich gehen sollte.

 

Meine Arbeit in der Bibliothek

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In der Bibliothek war es ganz schön enttäuschend. Ich kann nicht gerade sagen, dass mir die Arbeit dort viel Spaß gemacht hat. Der Raum sah ziemlich gammelig aus. An den Wänden standen morsche, verstaubte Regale. Darin standen unzählige Bücher, die ganz vermodert rochen. In einem Buch wimmelte es von fetten Würmern, ein anderes Buch war sogar fast versteinert.
Wochenlang sah ich mir jedes einzelne Buch ganz genau an. Am Anfang war ich gespannt, und dachte bei jedem Buch: „Gleich hast du es. Das ist bestimmt das Richtige!“ Aber es war immer Fehlanzeige. Keine uralte griechische Bibel. Noch nicht einmal Bibelteile! Ich wurde so richtig mutlos. Mein Glück dabei war, dass mir der Koch immer extra gutes Essen vorsetzte. Das munterte mich dann für kurze Zeit wieder auf.

 

Der Fund im Papierkorb

Bild 6Während ich in der Bibliothek jedes Buch unter die Lupe nahm, war der dort zuständige Mönch auch nicht untätig. Jeden Tag füllte er die Papierkörbe mit altem Papier und Abfällen, die sich in der Bibliothek über die Jahre angesammelt hatten.
Irgendwann griff ich mir zufällig so einen Papierkorb. Eigentlich wollte ich gerade Schluss machen und nach draußen gehen. Ich leerte den Papierkorb noch schnell auf dem Boden aus und mit spitzen Fingern untersuchte ich den Inhalt. Nicht gerade angenehm!
Der Mönch meinte: „Das soll alles verbrannt werden. Dieses Zeug ist mir schon lange im Weg.“
Mir blieb plötzlich fast das Herz stehen. In meinen Händen hielt ich nämlich uralte vergilbte Pergamentblätter. Sie waren mit griechischen Texten beschrieben. Es waren 129 Blätter. Als ich den Text las, wusste ich, dass es das war, was ich gesucht hatte: Teile einer uralten Bibel in griechischer Sprache.
Einige diese Blätter durfte ich behalten, für die restlichen Blätter interessierte sich plötzlich der Abt. Er merkte wohl, dass er sehr wertvolle Schriftstücke im Kloster hatte.
Mit den gefundenen Blättern im Gepäck reiste ich dann kurze Zeit später nach Leipzig zurück.

 

Die Blätter sind verschwunden

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Fast zehn Jahre später stand ich wieder vor dem Katharinenkloster und bat um Einlass.
In den Jahren seit meiner Abreise hatte ich versucht, die restlichen Pergamentblätter zu kaufen, die ich dort zurückgelassen hatte. Weil das Kloster darauf aber nicht einging, wollte ich sie gerne wenigstens abschreiben. Doch als ich wieder im Kloster war, wusste niemand, wo die restlichen Blätter von damals waren. Keiner erinnerte sich mehr, dass es sie überhaupt gab. Trotz aller Suche blieben sie verschwunden. Echt seltsam! Mir blieb nichts anderes übrig, als wieder abzureisen.
Sechs Jahre später machte ich noch einmal den Anlauf, die verschwundenen Blätter oder andere alte Bibelteile im Katharinenkloster zu finden. Die Sache ließ mich einfach nicht los. Diesmal hatte mich der mächtige russische Zar geschickt, der in dieser Sache zu meinem Verbündeten geworden war. Gleichzeitig war er auch ein Freund der Mönche, die auf seine Worte hörten. Ob es diesmal klappen würde?
Zusammen mit den Mönchen suchte ich jede Ecke im Kloster ab. Vergeblich! Die alten Pergamentblätter waren und blieben verschwunden. Was sollte ich also noch dort?
Ziemlich enttäuscht packte ich meine Sachen und bereitete meine Abreise vor.

 

Sie sind doch da

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Der Hausverwalter lud mich noch ein letztes Mal zu sich auf sein Zimmer ein. Plötzlich legte er mir mit den Worten ,,Ich habe übrigens auch ein griechisches Altes Testament“ ein dickes rotes Packet in den Schoß. Mir stockte der Atem und ich wickelte den roten Stoff auseinander: Vor mir lagen die Pergamentblätter, die ich so lange verzweifelt gesucht hatte. Sie waren also doch da! Aber das war nicht alles. Es lagen noch andere Blätter in griechischer Sprache dabei.
Ich durfte die Blätter mit in mein Zimmer nehmen, um sie genau zu untersuchen. Dort verlor ich fast meine Fassung! Bei den anderen Blättern handelte es sich nämlich um das ganze neue Testament, uralt und vollständig!
Nun hatte ich die Beweisstücke in der Hand, nach denen ich seit über 15 Jahren gesucht hatte.
Die Pergamentblätter, die ich gefunden hatte, waren ungefähr 350 Jahre, nachdem Jesus als Mensch in Israel gelebt hatte, aufgeschrieben worden. Sie sind wichtige Beweisstücke dafür, dass die Bibel zuverlässig überliefert worden ist. Bei Vergleichen mit späteren Übersetzungen stellte sich heraus, dass der Inhalt gleich war. Wir können also sicher sein, dass die Texte von Matthäus, Lukas, Paulus und den anderen wirklich so aufgeschrieben worden sind, wie wir sie heuten in unserer Bibel finden.

 

 

 

12600-200  Später sind diese Blätter aus dem Sinai unter dem Namen ,,Codex Sinaiticus“ bekannt geworden. Ein Codex besteht aus Pergamentblättern, die zu einem Buch zusammengeheftet worden sind.
Nach langem Hin und Her wurden sie schließlich dem Zaren von Russland geschenkt. Später verkauften die Russen sie an England, wo man die meisten dieser Blätter heute im Britischen Museum in London besichtigen kann.